Von der Quelle bis zur Mündung

Immer dem Bach entlang…

Mal mit dem Fahrrad einen Fluss entlangfahren von der Quelle bis zur Mündung, das muss doch ein klasse Erlebnis sein“ – so sinnierten mein Mann und ich vor einiger Zeit beim Abendessen. Verfolgen, wie aus einem Rinnsal immer mehr ein richtiger Fluss wird, wie er sich in die Landschaft eingegraben hat, vielleicht auch wie er gebändigt wurde, das hat was.

Schnell haben wir die erreichbaren Flüsse durchgespielt: Rhein? An einem Tag nicht drin; Donau? Genauso wenig; Kinzig? Vielleicht. Aber mit geschätzen 90 Kilometern immer noch arg lang. „Ich hab’s: die Wolf!“ ruft mein Mann, holt die Landkarte raus und sucht die Quelle der Wolf.

„Wolf-Ursprung“ steht da auf der Karte, in der Nähe der Alexanderschanze die wiederum am Westweg liegt, einem der bekanntesten Fern-Wanderwege in Deutschland. Bis zur Mündung in Wolfach sind es schätzungs­weise 32 Kilometer. Fazit: machbar, wir haben ja Cross-Räder, geeignet für Wald und Straße.

Am nächsten schönen Tag stehen wir also auf der Alexanderschanze und finden auch gleich einen Wegweiser zum Wolf-Ursprung, soll ganz in der Nähe sein. Stimmt auch, nach einigen hundert Metern auf einem sehr aufgeweichten Weg bergab finden wir das nächste Schild das den Standort als „Wolf-Ursprung“ benennt. Bloß: Wo ist der Bach? Etwas ratlos stehen wir da und vermuten, dass mit dem Namen wohl das ganze Gebiet gemeint ist, ein Bachlauf bildet sich ja oft aus vielen kleinen Quellen. Tatsächlich gibt es hier überall Wasser, es ist ein mooriges Gebiet, es plätschert links und rechts vom Weg, der uns nun auf einem ausgewiesenen Mountainbike-Weg bergab führt.

Und plötzlich ist da doch ein klar erkennbarer Hauptbach, der Tag ist gerettet, wir haben die Wolf gefunden und rollen nun durch einen dichten Wald. Licht bricht durch das Dach aus Blättern oder Nadelbaum-ästen, das Bachwasser ist ganz dunkelbraun, am Rand hat sich Bachschaum gebildet.

Eine fast magische Fahrt folgt nun, immer der Wolf entlang, vorbei an steil abfallenden Zuflüssen, oft wasserfallartig, über kleine Brücken, immer auf einem gut befahrbaren Waldweg. Unterwegs ganz unerwartet eine richtige Kreuzung, Wege in alle Richtungen, ein Wehr das zum Aufstauen des Wassers benützt wurde – und ein Auto mitten im Wald. Der dazugehörige Förster erklärt mir dann erst mal die Sache mit dem Schaum:
Dieser entsteht beim Abbau von abgestorbenen, organischen Materialien und taucht besonders an stark fließenden Gewässern auf, ist absolut natürlich und gar nicht so häufig zu finden, Moorgebiet eben, deshalb auch die dunkle Wasserfarbe.

Wir fahren nun immer am Hang entlang, von der Bergseite her plätschern und rauschen immer mehr Zuflüsse der jungen Wolf zu, wir überqueren kleine Brücken, teilweise sehr alt, überwuchert mit Moos, umwachsen von Farn, es summt und rauscht um uns herum, in der Ferne knacken Zweige – so stelle ich mir einen Zauberwald vor.
Ich bin gespannt, ob wir auch Zwerge und Elfen treffen werden, ganz abwegig erscheint mir das in dem Moment nicht.

Ungefähr auf der Höhe des Ortsteils Holzwald müssen wir feststellen, dass die wärmende Sonne nicht da ist wo wir sind. Also, nichts wie raus aus dem wunderschönen Wald und auf in die offene Landschaft: Wir bremsen uns hinunter zum Wolfengrund, eine der hintersten Verzweigungen im Wolftal. Wie man sich einen Schwarzwälder Großvater vorstellt, sitzt hier ein älterer Herr, genießt die Aussicht und die Sonne und freut sich sichtlich über den unerwarteten Plausch. Wald­arbeiter sei er gewesen, viele Jahrzehnte lang, er kenne im Umkreis jeden Baum.

Unser Weg führt nun auf der Straße hinunter in den Orts­teil Holzwald, der abseits der Haupt-Durchgangsstraße liegt. Wir staunen darüber, wie viele Häuser es hier gibt, wie viele Gästezimmer und Ferienwohnungen so weit hinten im Tal. Anderseits ist es klar, denn es ist ruhig, es gibt unendlich viele Wanderwege und im Winter ist der Kniebis mit seinem kleinen Skilift und den vielen Langlaufloipen nicht weit. Und Kultur gibt es auch, allerdings nicht im erwarteten Sinn mit Musik und Literatur: Im und um das Wald-Kultur-Haus finden wir Informationen über Waldbewirtschaftung, Flößerei, Pflanzen, Wasser, Bienen. Und wir lernen das Ehepaar Armbruster kennen, die mit Hingabe jeden Holzpfeiler und jedes Brettchen mit Holzschutzfarbe streichen, ehrenamtlich! Schnell weiter, bevor wir vor lauter schlechtem Gewissen selbst zum Pinsel greifen.

Die Wolf ist nun schon ein respektables Gewässer, einige Meter breit, nur teilweise gebändigt, aber immer noch voll mit Steinen, „verblockt“ sagen Kajakfahrer, die hier bei gutem Wasserstand das Wolftal auf ganz eigene Weise „erfahren“.

Ganz unerwartet, direkt neben der Straße mehrere große Industriehallen, Parkplätze und gefühlte zweitausend leere Mineralwasserkisten. „Peterstaler“ lesen wir auf Schildern und Lkw’s, das ist doch ein Mineralwasser? Verwundert reiben wir uns die Augen, kann das sein, so abseits? Aber klar doch, das muss sogar so sein, denn Mineralwasser soll ja aus intakter Natur kommen. Wir erfahren, dass aus Bad Rippoldsauer Quellen unter anderem das bekannte stille, sanfte Mineralwasser „Black Forest Pearl“ stammt, dass es auch hier gleich abgefüllt und mit firmen­eigenen Fahrzeugen zum Händler oder in Gasthäuser gefahren wird.

Nur wenige Meter weiter dann eine eindrucksvolle Kirche: Die Wallfahrtskirche Mater Dolorosa, wo jeden Freitag ein Wallfahrtsgottesdienst stattfindet. Die Wolf ist nun ein richtiger Bach, angewachsen durch viele Zuflüsse, das Wasser verdünnt und nicht mehr ganz so braun wie im Oberlauf, die Bachufer mit Steinen befestigt und mit abwechslungsreichem Bewuchs. Das Tal ist breiter, Bauernhöfe bereichern links und rechts unseren Weg, Abstecher bieten sich an, die wir aber auf einen anderen Tag verschieben müssen, wenn mehr Zeit ist für den Burgbach-Wasserfall, den Wolf- und Bärenpark oder die Schapbacher Pfarrkirche Sankt Cyriak mit dem barocken
Interieur und den beiden markanten Kirchtürmen.

Holz scheint im Wolftal ein großes Thema zu sein: Erst der dichte Wald zwischen Ursprung und Wolfengrund, dann der Ortsteil Holzwald, später dann der Bauer mit dem Anhänger voll gespalte­nem Holz, das Sägewerk an der Abzweigung zum Freiersberg als Vertreter der modernen Holzindustrie, der Hinweis auf Flößer auf einem Schild am neuen Radweg-Abschnitt. Hier ist die Rede von einer „Riese“, eine Art Erdkanal zur Beförderung von Holzstämmen vom Wald zum Bach. Flößer haben anschließend das Holz vom Waldbauern übernommen und auf dem Fluss bis nach Straßburg und Holland transportiert. Alles gefährliche Arbeiten. Gute alte Zeit?

Wie auf’s Stichwort radelt die „neue“ Zeit mit Schwung und Leichtigkeit an uns Pedalhelden der alten Schule vorbei: Ein Ehepaar auf Pedelecs überholt uns mühelos, den Gegenwind völlig ignorierend und fröhlich umherschauend. Die Tochter haben sie besucht, den Berg zwischen deren Wohnort und Oberwolfach hat der Elektromotor für sie geschafft, jetzt haben sie es nicht mehr weit. Ja, sie entdecken gerade die Schwarz­wald-Wege wieder neu seit sie technische Unterstützung haben, eine tolle Sache finden sie. Wir versuchen noch, an ihnen dranzubleiben, müssen aber kapitulieren. So bleibt uns Zeit für andere markante Punkte. Was macht man wohl in einem mathematischen Forschungsinstitut, welche Rechengenies treffen sich da? Nichts für uns, das ist sicher. Oder das Schild „Grube Clara“, gibt es hier wirklich noch Bergbau? Ja, erklärt man uns im Gasthaus Hirschen, tatsächlich wird in dieser Grube noch Fluss-Spat abgebaut, außerdem sei die Grube eine der mineralienreichsten Gruben der Welt, Mineralien­sammler kommen deshalb von weit her.
Viele Infos würden wir im MiMa erhalten, dem Mineralien- und Mathematik-Museum oder im Bergbau-Themenpark direkt an der Straße in Oberwolfach-Kirche. Die Zeit verrinnt, die Sonne sinkt, so müssen auch diese beiden Punkte auf die Liste mit den noch zu erlebenden Abenteuern.

Der Tag neigt sich auch für die Bäuerin im Garten, doch die Kartoffeln müssen noch raus, vertraut sie uns an. Warum das so ist, erschließt sich uns nicht, aber sie wird wohl einen Grund haben. Ich jedenfalls beschließe, mal wieder „Brägele“ zu machen, Bratkartoffeln mit viel Speck dazu ein Spiegelei oder lieber Salat? Die Frage nach dem Abend­essen drängt sich auf, es ist gut, dass wir jetzt nicht mehr weit weg sind von der Mündung. Vorher passieren wir aber noch den liebevoll gestal­teten Bergbau-Themenpark mit vielen Informationen, ein Wehr mit Fischtreppe, die Lachse sollen ja aufsteigen können und dann – nach vielen Eindrücken, Erlebnissen, Gesprächen, nachdem wir viel erfahren haben über’s Wolftal und erkannt haben, wie spannend eine Radtour sein kann – kommen wir zur Mündung in die Kinzig. Wir haben den Fluss gesehen, als er noch ganz klein war, versteckt im tiefen Wald, ganz einsam. Es war wie wir es uns vorgestellt haben: einfach klasse. Wir beobachten noch eine Weile, wie sich das Wolf-Wasser mit dem Kinzig-Wasser vermischt und überlegen, dass es ja auch an der Kinzig einen Radweg gibt – aber das ist eine andere Geschichte.

Text und Fotos:
Elisabeth und Jakob Wolber